Der zweite theoretische (eigentlich ist es ein sehr praktischer) Gedanke betrifft den Wechsel unseres Blickwinkels auf eine Bilderwelt, die wir heute unweigerlich als Kunst akzeptieren. Die Realität bekommt ein Bild, ein Abbild vom Bild, ein Abbild von der Realität oder am Ende ein Bild vom Abbild und bei Olavo entstehen außerdem bildhafte Ikonen, die in dieser These als für sich selbst stehende Gegenstände definiert bleiben sollen. Für uns mittlerweile selbstverständlich ist die Sichtweise auf diesbezügliche Verformungen, zum Beispiel die des Wegbereiters Andy Warhol, wenn er dramatische Nachrichten aus der Tagespresse in ein anderes Medium, den Siebdruck übertrug, um zu zeigen und herauszufinden inwieweit die ursprüngliche Nachricht in einem anderen Umfeld informativ oder auch emotional anklingt. Der deutscher Vertreter der selben Idee, Gerhard Richter, malte - sehr verkürzt gesagt - Fotos ab. Dies allerdings mit solch bestechender Intensität, dass man auf den ersten Blick nicht weiß, was man vor sich hat: Ein Foto oder ein Ölgemälde. Das Spiel der Verkehrung: Ist dies nun ein Abbild von einem Bild oder eher ein Bild von einem Abbild? Denn, was ist ein Foto? Ein Bild oder ein Abbild von der Realität?

Und was ist dann ein Poster? - Nennen wir es die Vervielfältigung eines großformatigen Fotos in Offsetdruck-Technik. Bis hierher ist es Reklame oder Dekoration. Das Plakat der Trabrennbahn-Mariendorf hing jahrzehntelang in einem kleinen, kargen aber urigen Wettbüro am Victoria- Luise-Platz, also in Olavos Nachbarschaft. Sicherlich war das Wettbüro von Jochen Krutschina ein Zuhause und eine Oase für so manchen Spielsüchtigen, aber auch für die Kumpel um die Ecke. Mittlerweile hat das Wettbüro geschlossen. Aber dort hing dieses Poster an der Wand, bevor Olavo es von Jochen geschenkt bekam, dieses alte Riesenformat, welches an den eigentlichen Traum, an die Geschichte in der Geschichte erinnert, die Trabrennbahn-Mariendorf selbst: ein Circus, ein Event, ein Sportereignis, Begegnungsstätte von Reich und Arm, alle mit dem selben Traum: gewinnen; und der selben nüchternen Realität: wieder verlieren.

Wie Olavo Schneider solch ein antiquarisches Prachtstück in sein Atelier bekommen konnte, ist schon eine Geschichte Wert. Wenn er es in seinem Gusto frisch mit liebevoller Patina überzieht und aus gerettetem Altpapier ein Gemälde herstellt, bekommen wir ein Bild von hintergründigen Berliner Geschichten und erleben die
Präsenz derselben um so deutlicher, als aus dem Abbild ein Bild entstanden ist.

Geschichten verwischen, verstecken sich, blitzen nur noch pastellig zu uns in die Gegenwart oder verschwinden ganz. Olavo hält Geschichten in lebendiger Bewegung, auch durch radikale Übermalung von älteren Leinwandbildern. Wenn überhaupt, dann weiß nur noch der Maler welche Geschichten sich unter den Neuen verstecken, welche alten Geschichten die Neuen tragen. Ein Bild von einem Bild - auf einem Bild. Nicht aus Geiz, um Material zu sparen, es geht einfach weiter, es wird erzählt, nicht archiviert. Und da eine ganze Serie der übermalten Bilder mit »Berliner Blut« betitelt ist, erahnt man fast ölig tiefrote Farbtropfen und Tupfer, wie sie versuchen aus der Vergangenheit wieder in den Vordergrund zu quellen.

Aber auch ein Statement ist eine Geschichte, und diese eine soll nicht unerwähnt bleiben: ein Bild vom letzten Winter aus Aktualität entstanden, während der Papst sich wandt, seinerseits ein Statement zu der in der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommenen Verfehlung der Aufhebung der Exkommunikation von insbesondere Richard Williamson aus der Piusbrüderschaft zu geben, der sich als Holocaustleugner darstellte. Das großformatige Leinwandbild hat mehrere Übermalungen erfahren, ist in Duktus und Stil Kasimir Malewitsch nahe und trägt nun den Titel: »Narrenkappe Benedictus Papa«. »Okkerland« und »Trockene Blätter« reihen sich gleich nebenan in diese sanft wirkende Serie, die gleichzeitig krassesten Stoff erzählt. Schon die Titel bilden einen festen Teil von Aussage und Erzählung.

Aber es entstehen auch Bilder in denen selbst der Maler die Geschichten noch nicht entschlüsseln konnte. Arbeiten die ihre Geheimnisse noch in sich bergen und darauf warten wiederaufgenommen zu werden, um sich dann auf der Leinwand zu »outen«. Diese liegen Olavo besonders am Herzen: Neun quadratische Papierarbeiten aus den Jahren 2005 bis 2009, die hier im Block hängen.

Bei all dem taktet sich Olavo im Rhythmus seiner Zeit. Das ist sehr gut so, das muss er auch, denn er und seine Arbeiten sind immer ehrlich, direkt und authentisch, bedeuten mutig die Möglichkeit Zweifel zuzulassen, Unsicherheiten auszudrücken und auch das Scheitern zu wagen.